Laudatio von

Frau Staatssekretärin

im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau

Katrin Schütz

anlässlich der

Aushändigung des Bundesverdienstkreuzes                             an Frau Gisela Lotz

am 29. Juli 2020 um 11.30 Uhr im DDR-Museum Pforzheim

Entwurf: Bäumler Dauer: 10 Minuten

Gliederung:

  1. Recht und Unrecht: Eine deutsch-deutsche Geschichte
  2. Engagement für Demokratie und Menschlichkeit

 

  1. Recht und Unrecht: Eine deutsch-deutsche Geschichte

Sehr geehrte Frau Lotz, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Boch, (weitere Anreden) meine sehr geehrten Damen und Herren,

manchmal liegt es klar auf der Hand, was Recht und was Unrecht ist. So wie in Ihrer Lebensgeschichte, liebe Frau Lotz!
Sie waren eine junge Frau von 19 Jahren, als Ihre Eltern 1961 – kurz vor dem Mauerbau – in den Westen flüchteten.
Ein späteres Nachkommen war für Sie selbst nicht mehr möglich. Also gestalteten Sie Ihr Leben in der DDR:

Sie heirateten, bauten ein Haus, bekamen zwei Söhne. Und Sie beklagten sich nicht. Nur Ihre Eltern hätten Sie natürlich gerne wiedergesehen. Das DDR-Recht sah die Möglichkeit einer Familienzusammenführung auch ausdrücklich vor.
Und so entschlossen Sie sich, 1982 Ausreiseanträge für sich und Ihre beiden Söhne zu stellen. Dreieinhalb Jahre lang schrieben Sie einen Antrag nach dem anderen – insgesamt 14 an der Zahl!
Und alle wurden sie abgelehnt!
Über Ihre Bemühungen standen Sie – man möchte fast sagen „selbstverständlich“ – auch mit Ihren Eltern in brieflichem Kontakt. Aber genau diese Selbstverständlichkeit sollte Ihnen schließlich zum Verhängnis werden. Denn ein von der SED eingeführtes Gesetz machte die – ich zitiere – „ungesetzliche Verbindungsaufnahme mit Bewohnern der Bundesrepublik“ zur Straftat. Der Briefkontakt mit den eigenen Eltern als strafbare Verbindung zu einer ausländischen Macht – man mag kaum glauben, dass ein solcher Vorwurf vor einem Gericht Bestand haben konnte.
Aber genau so lautete die Anklage gegen Sie. Und so lautete das Urteil: Zwei Jahre und vier Monate Haft in der Frauenzuchtanstalt Hoheneck!
Insgesamt saßen in den Gefängnissen der DDR rund 280.000 politische Gefangene. Menschen wie Sie, liebe Frau Lotz, die zum Beispiel einfach nur ihre Eltern wiedersehen wollten…
Von den vielen hundert Todesopfern an der deutsch-deutschen Grenze ganz zu schweigen.1

Für Sie, liebe Frau Lotz, hat die Geschichte dann allerdings doch noch eine glückliche Wendung genommen. 1986 wurden Sie von der Bundesrepublik freigekauft und zusammen mit anderen Gefangenen in den Westen transportiert. Nach über 25 Jahren konnten Sie endlich zum ersten Mal Ihre Eltern wiedersehen.

  1. Engagement für Demokratie und Menschlichkeit

Meine Damen und Herren, liebe Frau Lotz,

Ihre traumatische Geschichte, die ein Teil deutsch-deutscher Geschichte ist, haben Sie nicht für sich behalten. Noch heute erzählen Sie regelmäßig davon, wenn Sie zum Beispiel eine Schülergruppe hier durchs Pforzheimer DDR-Museum führen. Seit Gründung des Museums im Jahr 1998 sind Sie in seinen Räumen als äußerst engagierte Zeitzeugin aktiv und haben unzählige Besuchergruppen durch die Ausstellung geführt. Den Verein „Gegen das Vergessen“, der das Museum trägt, haben Sie maßgeblich mit aufgebaut. Seit 2008 sind Sie die zweite Vorsitzende.
Das Museum selbst geht auf eine private Initiative von Klaus Knabe zurück, der – wie Ihre Eltern, Frau Lotz – noch vor dem Mauerbau die DDR verlassen hat. Als Herr Knabe im Jahr 2012 verstorben ist, haben Sie gemeinsam mit Volker Römer seine Sammlung weiter gepflegt.
Eines wollen Sie mit diesem Museum ganz und gar nicht sein: ein Ort der Ostalgie. Für derartige Verharmlosungen der DDR-Diktatur haben Sie hier kein Verständnis. Im Gegenteil: Ihnen geht es um Aufklärung, gerade mit Blick auf die junge Generation, die Mauer und Stacheldraht nur noch aus Geschichtsbüchern kennt. Damit leisten Sie einen unschätzbaren Beitrag zur demokratischen Bildung.
Denn Freiheit und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeit. Ihr Wert und ihre Würde müssen jeder Generation aufs Neue glaubhaft vermittelt werden.
Ihr Wirkungskreis, liebe Frau Lotz, reicht aber noch weit über das DDR-Museum hinaus. Seit 2012 sind Sie die offizielle Vertreterin des hiesigen Vereins bei allen Zusammenkünften der „Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft“ (UOKG). In der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ (VOS) sind Sie seit 2006 sowohl Bezirksgruppenvorsitzende als auch Landesvorsitzende von Baden-Württemberg.
Ihr Engagement erschöpft sich dabei aber nicht in der notwendigen Gremienarbeit. Vielmehr kümmern Sie sich bis heute ganz persönlich um andere ehemalige politische Häftlinge der DDR-Diktatur. Das reicht von privaten Besuchen über die Begleitung zu Arztterminen bis hin zu organisierten Ausflügen und Zusammenkünften mit ansprechendem Programm.
Bei all Ihrem Einsatz haben Sie sich dabei nie in den Vordergrund gedrängt. Als zurückhaltende, stille Heldin des Alltags haben Sie in unzähligen Stunden ehrenamtlichen Engagements demokratische Werte und Mitmenschlichkeit vermittelt und vorgelebt. Bis heute tragen Sie damit zur Stärkung der Demokratie und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land bei.

Dafür darf ich Ihnen jetzt im Auftrag unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreichen.

Meinen herzlichen Glückwunsch zu dieser hohen Auszeichnung!

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1Eine verlässliche Zahl der Todesopfer an der innerdeutschen Grenze gibt es nicht. Wenn man nur die direkt durch Gewalt der DDR-Grenztruppen getöteten Flüchtlinge zählt, kommt man auf 510 Opfer zwischen 1961 und 1989, wie die Daten der früheren Zentralen Erfassungsstelle für DDR-Kriminalität in Salzgitter ausweisen – aber hier fehlen dann die bei der Flucht über die Ostsee ertrunkenen fast 200 Menschen und die bei Fluchtversuchen über andere Grenzen des Warschauer Paktes erschossenen DDR-Bürger, zum Beispiel in Bulgarien.

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